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Wunderland Nidden

„Nidden, unvergessliches Wunderland! Wenn der Herbst seine Farben ausschüttete, dann warst du ein einziges Märchen, in dem Gott, der aus weitem Himmel zusah, den Menschen verzauberte, dann war Frieden. Wer ließe mir nicht dieses Bild der Heimat in meinem Herzen, in der ich fünfundzwanzig gesegnete Malerjahre verbrachte.“

Ernst Mollenhauer

So pries der Maler Ernst Mollenhauer (1892-1963) vor gut 60 Jahren seine einstige Malheimat, Nidden auf der Kurischen Nehrung (heute Nida, Litauen). Und er malte sie auch, immer wieder. Zuerst, als er im Studium an der Königsberger Kunstakademie die Kurische Nehrung und den Malerort Nidden kennenlernte, noch vor dem Ersten Weltkrieg, dann erneut, als er ab 1919 wieder dorthin kam. Max Pechstein inspirierte dort manche junge Künstlerinnen und Künstler.

Das Hotel Hermann Blode war der zentrale Treffpunkt der Künstler, die im Sommer nach Nidden kamen, schon seit der Zeit gegen 1890. Es entstand dort eine Künstlerkolonie. Mollenhauer heiratete 1920 die Tochter des Gastwirts Blode und wurde ab 1924 dort ansässig. Bald gehörte er auch zu den Organisatoren des in den späten 1920er Jahren wieder erwachenden kulturellen Leben der Sommergäste in Nidden.

Nach dramatischer Flucht und Gefangenschaft konnte Mollenhauer 1946 allmählich wieder, nun im Rheinland, mit dem Malen beginnen. Doch hatte er sein Atelier und das bis dahin geschaffene Werk zum größten Teil verloren, auch die meist regional in privatem und öffentlichem Besitz gewesenen Arbeiten. Die Verluste reichten noch weiter: Gerade die Maler lebten auch in den Landschaften und mit den Menschen darin, die für ihre Bilder als Motive anregend wirkten. Diese Inspirationsquelle war dann ebenfalls verloren. Und dass eine Rückkehr auch nur in die Landschaft für sehr lange Zeit verwehrt oder gar nicht mehr möglich war, machte sich je länger je mehr als Verlust bemerkbar.

Dagegen half nur, sich um neue Inspirationen zu bemühen, sobald sich erste Möglichkeiten wieder boten. Zur Verlustbewältigung aber griffen viele Maler, die aus den Ostgebieten geflohen waren, alte Landschaftsmotive wieder auf. In der Erinnerung veränderten sie sich manchmal auch.

Ernst Mollenhauer “Blick auf Nidden” (Ernst Mollenhauer, Öl, 1949) © Ostpreußisches Landesmuseum

Ernst Mollenhauer schuf diesen „Blick auf Nidden“ 1949. Es handelt sich um einen Anblick des Dorfes, wie er sich aus den Fenstern des Hotels Blode darbot. Und man kann dies sogar heute noch am etwa gleichen Standpunkt aus dem Hotel, das zu Teilen erhalten blieb, nachvollziehen.

Das Gelände fällt sanft ab zum Fischerdorf hin, rechts steigt eine andere, bewaldete Düne an. Links geht der Blick auf die Wasserfläche des Kurischen Haffs, wo auf dem Gemälde einige Kurenkähne angedeutet sind. Am Haffufer stehen die Fischerhäuser. Nur die kräftige Kiefer links am Bildrand steht hier eher wegen der Bildkomposition. In diesem Bereich gab und es gibt es in der Realität keine Bäume.

Über den kräftigen Farben des Landes, des Waldes und des Wassers liegt ein mittagsgelber Himmel mit einer weißen, gleißenden Sonne. Die kräftigen Farbflächen und die strukturgebenden schwarzen Konturlinien, gerade auch die kräftig betonte Sonne über dem Land sind so charakteristisch für die expressionistische Malerei von Ernst Mollenhauer.

Die expressionistische Formenvereinfachung gelang Mollenhauer umso besser, als das reale Motiv nurmehr vor seinem inneren Auge stand. Denn nur die inneren Bilder konnten er und die anderen Maler von der Kurischen Nehrung mitnehmen. Und in ihren Werken erschienen sie dann in umso freieren Wiedergaben.

Mollenhauers Nachlass gelangte über seine Tochter an das Ostpreußische Landesmuseum, das nun über 100 seiner Gemälde verfügt. Ernst Mollenhauer kann damit im kunsthistorischen Wirken des Museums den bedeutenden Platz einnehmen, der ihm gebührt.

Von Dr. Jörn Barfod, Kustos am Ostpreußischen Landesmuseum