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Weg einer Königsberger Hansekanne

von Dr. Jörn Barfod, Kustos am Ostpreußischen Landesmuseum

Königsberger Hansekanne vor 1945

Der Stichel glitt ruhig durch die Oberfläche des Silbers, die Rillen bildeten allmählich eine erkennbare Form eines Ornaments. Ein Rahmenwerk mit aufgerollten Enden oder durchsteckten Teilen, dazwischen feines Blattwerk. Zuvor hatte die Hand des Goldschmieds ihn schon sicher geführt, um die Zeichnung einer aufregenden Jagdszene zu gravieren: Hunde hetzen voraus, hinter ihnen läuft ein Jäger mit einem langen Jagdspieß. Sie werden von einem drohend aufgerichtet stehenden Bären erwartet, den sie zur Strecke bringen wollen – keine ungefährliche Sache. In einem zweiten Jagdfries sieht man Hunde, die hinter Hase und Hirsch herlaufen.

Diese fein gravierte Zier hatte der Meister auf die Wandung einer edlen Kanne angebracht. Der schmale, hohe Körper mit einem breiteren Standfuß, einem leicht aufgewölbten Klappdeckel und einem Griff an der Seite bekommt seine vornehme Note durch die nach unten leicht schmaler werdende Form der schlanken Kanne. Deckel, Standfuß und Henkelgriff sind auch vergoldet sowie mit getriebenem und gegossenem Ornamentband versehen. Auch der hochstehende kleine Hebel, die so genannte Daumenrast, zum Aufklappen des Deckels ist vergoldet und verziert.

Die Motive für die Ornamente und die Jagdfriesdarstellungen fand der Goldschmied in Kupferstichen, die für das Kunsthandwerk, gerade auch die Edelmetallarbeiten gedruckt wurden. Damit konnte er in Form und Dekor seiner Arbeiten auf der Höhe der Zeitmode sein.

Ornamentstich für Goldschmiede um 1580

In den Jahren kurz vor 1600 schuf der Königsberger Meister Merten Groß diese Kanne, vielleicht für einen wohlhabenden Kaufmann. Diese Gefäßform erfreute sich damals im ganzen Ostseeraum großer Beliebtheit und wurde später nach den Orten, in denen sie verbreitet war, Hansekanne genannt. Merten Groß markierte sie mit seiner Meistermarke MG und dem damaligen Zeichen für Königsberger Goldschmiedearbeiten, eine Marke in Form eines dreiblättrigen Kleeblatts.

Etwa 100 Jahre später, 1691, ließ ein späterer Besitzer auf dem Deckel eine kleine Figur eines stehenden Kriegers mit Kreuzstab und einem Wappenschild anbringen. Des Kreuzes wegen könnte man diese Gestalt als den heiligen Georg deuten, denn die Kanne wurde als Abendmahlskanne dem St. Georgshospital in Königsberg gestiftet. Das Wappenschild zeigt ein bürgerliches Wappen, eine sog. Hausmarke, zwei gekreuzte Dreschflegel und die Initialen FH.

Zur Zeit der Stiftung an das Hospital war die Kanne immer noch ein wertvoller Gegenstand, wenn auch nicht gerade mehr modisch in ihren Formen. Doch blieb sie in Gebrauch bis ins 19. Jahrhundert. Im Notjahr der französischen Besetzung Preußens 1809 wurden im ganzen Königsberg Edelmetallgeräte besteuert und die entrichtete Steuerschuld mit einem eingeschlagenen kleinen Zeichen quittiert. Auf der Kanne finden wir das Zeichen FW, steuerbefreit als unbedingt nötiges Gerät für die Kirche des Hospitals. Etwa ein halbes Jahrhundert später gelangte die Kanne in die Königsberger Gewerbesammlung, mit dieser später in die Städtischen Kunstsammlungen, die sich zuletzt bis 1945 im Schloss befanden. Mit der weitgehenden Zerstörung Königsbergs und seiner Sammlungen verliert sich die Spur dieser bemerkenswerten Goldschmiedearbeit, bis sie 1987 auf einer internationalen Kunstauktion wieder auftauchte. Ganz spurlos war die Zeit aber nicht an ihr vorübergegangen, die kleine Figur auf dem Deckel fehlt. Von der Auktion war es dann nur noch ein kurzer Weg (mit Hilfe der Bundesregierung) ins Ostpreußische Landesmuseum, wo sie seit 1988 in der Dauerausstellung zu bewundern ist, als Werk jenes Königsberger Goldschmieds Merten Groß, der mit dieser Arbeit vor gut 400 Jahren für seinen Nachruhm sorgte.