Eine andere Reise in das ehemalige West- und Ostpreußen
Reisebericht von Frauke Opitz – 15. Oktober 2010
Viele Reiseveranstalter bieten Reisen in das ehemalige Ost- und Westpreußen an, aber selten noch leben Menschen, die dort geboren wurden. Die meisten Teilnehmer suchen wehmütig die alte Heimat, die alten Orte, Straßen, Erinnerungspunkte ihrer Kindheit, ihres Lebens. Ich wurde 1941 geboren, meine Tochter 1967, und wir kennen das „alte“ Preußen nur von den Erzählungen unserer Vorfahren, die aus der Nähe von Marienburg bzw. aus Kaukehmen kamen.
Das Ostpreußische Landesmuseum bot nun eine Reise an, die auf die Spuren der Burgen im Deutschordensstaat Preußen führen sollte. Die Leitung oblag der Kulturreferentin für Ostpreußen Agata Kern. Es war eine Reise in eine Vergangenheit, die viele hundert Jahre zurückliegt, deren steinerne Zeugen uns aber beredter Beweis sind für die Macht des Deutschen Ordens in Preußen. Die gotischen Türme der Burgen und Kirchen, ausschließlich in Backstein erbaut, bestimmen vielfach das Panorama in Pomesanien, dem Oberland, Ermland und Masuren. Die schönen Bauten beeindrucken besonders durch ihre Einfachheit, ihre klare Architektur.
Dies alles wurde uns hervorragend nahegebracht von einer weiteren Fachfrau: Malgorzata Jackiewicz-Garniec, Kunsthistorikerin und Denkmalpflegerin. Sie ist Verfasserin und Herausgeberin eines Buches über die „Burgen im Deutschordensstaat Preußen“ und zusammen mit einer Dolmetscherin unsere Begleiterin.
Unsere Reise beginnt in Marienburg (Malbork) mit der Besichtung der Burg der Hochmeister des Deutschen Ordens, der im 12. Jahrhundert gegründet wurde. 1309 wurde dessen Sitz von Venedig nach Marienburg verlegt. Der Hochmeister stand in der Hierarchie an der Spitze des Ordens und bekleidete sein Amt lebenslang. Bekannte Namen sind noch heute Legende: Hermann von Salza, Heinrich Reuß von Plauen, und Vertreter der Geschlechter von Hohenlohe, von Sangershausen, von Feuchtwangen, von Jungingen und weitere bis zu Eugen von Österreich als dem letzten weltlichen Hochmeister des Deutschen Ordens von 1893 bis 1923. Danach übernahmen – bis heute – kirchliche Würdenträger dieses Amt.
Die Marienburg ist die größte Burg des Deutschen Ordens und gilt auch als die größte gotische Backsteinburg Europas, aber an baulicher Schönheit stehen ihr andere nicht nach, denn zum Beispiel die Burg eines Komturs, also eines Niederlassungsleiters, ist als Wehrburg beeindruckend, aber bescheidener in ihren Ausmaßen.
Zerstörungen im II. Weltkrieg sowie Zerfall und Verwahrlosung haben vielen Burgen arg zugesetzt.
Monumental erhebt sich in Marienwerder (Kwidzyn) die Burganlage des pomesanischen Domkapitels über die Stadt. Uns fällt ein der Burg vorgelagerter Abschlussturm auf, zu erreichen über einen weit aufragenden Viadukt. Es ist der Dansker, der Toilettenturm direkt über dem Graben, der einmal Wasser führte. Ein Plumpsklo in ca. 20 m Höhe.
Mit uns ist auch Christian Papendick, Architekt und Landschaftsarchitekt aus Hamburg, der unermüdlich fotografiert. 84jährig ist der in Königsberg geborene überall dabei, gute Perspektiven für seine Fotos zu finden, und er scheut auch hier eine Kletterei auf den Burgwall nicht, was einige von uns denn doch besorgt beobachten.
Er verriet mir, dass er ein Buch plant über den polnischen Teil Ostpreußens.
Seine hervorragende Bilddokumentation „Der Norden Ostpreussens – Land zwischen Zerfall und Hoffnung“ , erschienen im Husum Verlag, beschreibt den Teil des Landes, der jetzt zu Russland gehört, also das Königsberger Gebiet, Tilsit und Memel, die Elchniederung, die Memelniederung.
Nach dem Besuch der Burgen in Osterode (Ostroda) und Neidenburg (Nidzica) führt unser Weg nach Allenstein (Olsztyn) zur Burg des ermländischen Domkapitels.
Am anderen Morgen besichtigen wir die Ruinen von Schloss Schönberg (Szymbark), das Ende des 17. Jahrhunderts vom späteren Reichsgrafen Finck von Finckenstein erworben wurde. Im Januar 1945 erreichte die Sowjetarmee das Schloss. Damit war sein Ende besiegelt. Die Einwohner flohen mit anderen Dorfbewohnern gen Westen und das alte Schloss wurde ein Raub der Flammen.
Die Burg der Bischöfe in Heilsberg (Lidzbark-Warminski), in der die umfangreichen Restaurierungsarbeiten zum Teil abgeschlossen sind, und die Burg der ermländischen Bischöfe in Rössel (Reszel) sowie die Pflegerburg (Wohnsitz des Pflegers als Verwaltungsbeamter, sowie Wehrburg) in Rastenburg (Ketrzyn) nötigen uns Respekt vor der enormen Leistung der Ordensleute, der Handwerker und Arbeiter ab. In Rössel (Reszel)– einem der wenigen Orte, die im letzten Krieg nicht beinahe vollständig zerstört wurden – übernachten wir in der Burg. Der Besitzer hat phantasievoll 21 Räume zu Hotelzimmern umgestaltet und mit teilweise selbst gefertigten schlichten Holzmöbeln ausgestattet. Hier gibt es zum Abendessen frisch gefangene Schleie mit einer vorzüglichen Sahnesoße. Das fluffige Rührei am morgendlichen Frühstücksbufett ist begehrt und ungemein lecker.
Tief bewegt bin ich von einem Besuch im Salon Marion Dönhoff in Galkowen (Galkowo). Dieser Salon ist ein großer weiter Raum in einem wieder aufgebauten Forsthaus, das verwahrlost und schwer beschädigt von seinem Platz in Steinort, also dem Wohnsitz derer von Lehndorff, von Alexander Potocki dort ab- und in Galkowo wieder aufgebaut, restauriert und ergänzt wurde. Das alles erzählt uns Renate Marsch-Potocka, ehemals Korrespondentin der Deutschen Presseagentur in Warschau, und sie lässt uns die Stimme Marion Dönhoffs hören, die aus ihrem Buch „Eine Kindheit in Ostpreußen“ den Abschnitt „Im Rhythmus der Jahreszeiten“ liest. Nach einer farbigen Erzählung des Jahreskreislaufes endet das Kapitel mit dem berührenden Satz: … „und es gibt nur noch ein Gefühl: tiefe Dankbarkeit dafür, dass dies meine Heimat ist.“ Es ist die Heimat, die sie 1945 im tiefsten Winter auf ihrem Pferd Alarich fliehend verlassen muss.
An den Besitz in Friedrichstein erinnert ein einziger noch vorhandener Backstein im Salon in Galkowo, der Rest ist verschwunden, getilgt.
Im Obergeschoss also wird mit Fotos, mit Bildern der Familie und mit Tondokumenten der großen Journalistin Marion Gräfin Dönhoff gedacht, der Herausgeberin der Wochenzeitung DIE ZEIT. Auch an die letzten Besitzer von Steinort, die Grafen Lehndorff, wird hier erinnert, besonders an Heinrich Graf Lehndorff, der 1944 nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler seinen Schergen mehrfach entkommen konnte, sich aber mit Rücksicht auf seine Familie letztlich einem Forstmann zu erkennen gab, der ihn verriet.
Einige Burgen können wir wegen laufender Restaurationsarbeiten nur von außen besichtigen. In der Komturburg in Rhein (Ryn) fällt es sehr schwer, die ursprüngliche Verwendung nachzuvollziehen. In dieser Burg residiert ein Hotel, das die große Halle im Erdgeschoss zu einer modern anmutenden Rezeption umgestaltet und nicht nur meiner Meinung nach sehr daneben gegriffen hat. Die unglücklich gewählten Deckenlampen sollen wohl ein wenig Mittelaltergefühl aufkommen lassen, die schönen Backsteinwände sind nicht nur in dieser Halle behängt mit Teppichläufern: durchaus handgeknüpft und älteren Datums, was sichtbar ist an den Verschmutzungsspuren in der Mitte, aber auf diesen farbiggemusterten Orientläufern hat man dann auch noch Säbel, Degen, Beile etc. befestigt.
Ein kurzfristig arrangierter Besuch des Schlosses Eichmedien nahe Rastenburg, dessen Bewohner, die Familie von Redecker, im Jahre 1945 vor den Russen flohen, war sehr bemerkenswert. Vor ca. 12 Jahren wurde das völlig heruntergekommene Anwesen von einem polnischen EDV-Spezialisten und seiner Ehefrau gekauft. Allein zwei Jahre lang haben die fleißigen Menschen tonnenweise den Schutt aus den Kellern, den Stockwerken und dem weitläufigen Park geräumt, bevor mit einer Restaurierung begonnen werden konnte. Überall wird gearbeitet. Um die kostbaren Kachelöfen wieder restaurieren bzw. völlig neu aufbauen zu können, gibt es eine Werkstatt, in der Kacheln geformt, kunstvoll mit den alten Mustern bemalt und gebrannt werden. So haben etliche Bewohner der Umgebung Ausbildungs- und Arbeitsplätze erhalten. Kachelöfen auch für andere Kunden bringen einen Teil des Geldes ein, das erforderlich ist für die Erneuerung von Schloss und Schlosspark.
Der jüngste Sohn der ehemaligen Besitzer von Redecker ist oft in Nakomiady, wie Eichmedien polnisch heißt, und sehr schnell ein guter Freund des jetzigen Eigentümers geworden. Stehen die zwei, den Besuchern den Baufortschritt erklärend, nebeneinander, hielte man sie für Brüder. Deutschland und Polen geeint.
Nach der Außenbesichtigung der Pflegerburg in Angerburg (Wegorzewo) bringt uns ein Schiff über den Großen Mauersee nach Lötzen (Gizycko) zur Übernachtung. Die Reise führt uns weiter zum westlichsten Standort einer Burg in Bütow (Bytow). Hier ist nur ein Überblick über die teilweise gut restaurierte Burg von außen möglich. Wir kommen spät an, übernachten im Burghotel und fahren am folgenden Tag voll mit Erlebnissen und nach vielen guten Tagen zurück nach Lüneburg.
Voller Staunen erinnern wir uns rückblickend an Polen, an das Land, in dem unsere Eltern oder Großeltern geboren wurden und das uns als Ost- bzw. Westpreußen überliefert ist. Wir, als die in West-Deutschland geborene Generation, haben Ostpreußen und Westpreußen nicht gefunden, aber ein Land, das sich seit der „Wende“ sehr gewandelt hat. Nur in ganz entlegenen Landschaften, wie der schon immer wirtschaftlich benachteiligten Kaschubei, findet der Reisende gelegentlich noch halbverfallene Höfe, verrottete Fensterläden und graue Häuser vor. Ansonsten sind die Straßen gut, größtenteils sehr gut ausgebaut, die Häuser farblich gestaltet, die Balkone der ehemals grauen und nun phantasievoll farbig gestrichenen Wohnblocks mit Blumen geschmückt.
Vergangenheit und Zukunft, Fleiß und Ideen, herrliche Landschaften. Ein bewundernswertes Land.