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Objekt des Monats: Die silberne Votivtafel und die Bitte um Erlösung vor der Pest

Eine etwa 20 mal 30 Zentimeter große Silbertafel mit einer schönen, eingravierten barocken Darstellung der Verkündigung des Erzengels an die Jungfrau Maria ist in der neuen Dauerausstellung des Ostpreußischen Landesmuseums zu sehen. Diese Silberplatte war eine Votivgabe, ein mit Bitten verbundenes Geschenk an die Gottesmutter Maria von Bürgern der kleinen Stadt Mehlsack im ostpreußischen Ermland.

Die Vorderseite der Votivtafel

Die geradezu fröhlich bewegte Szene der Verkündigung, die der Danziger Goldschmied Franz Grützmacher 1710 eingravierte lässt nicht ahnen, was für ein schrecklicher Anlass dieses kleine Kunstwerk entstehen ließ: In schönstem Kirchenlatein schildert es eine lange Inschrift auf der Rückseite der Tafel; übersetzt etwa so lautend:

Die lateinische Inschrift auf der Rückseite der Tafel

„Halte inne, Reisender, und betrachte die kleine Stadt Mehlsack Anno 1710: Wie weder der Diener der Kirche, weder der Priester am Altar, weder der Schuldirektor, weder das Haus in der Stadt, weder die Hütte in der Vorstadt, weder der Schuppen in den Mauerwinkeln, weder der Viehstall, noch der Garten oder die Scheune außerhalb der Mauern gegen Ansteckung gefeit sein wird. Dass sie weder durch das Stöhnen der Ermatteten, noch durch das Wehklagen der im Todeskampf liegenden oder Sterbenden von dem Siechtum verschont wird. So dass die Pest innerhalb von 5 Monaten über 1200, außer denjenigen vielen, die heimlich begraben worden sind, dahingerafft haben wird. Durch fromme Vermächtnisse dieser in den letzten Zügen Liegenden ist diese Tafel gegossen und dem Herrn und der Seligen Jungfrau Maria vom heiligen Rosenkranz geweiht worden.“

In diesen Zeilen enthüllt sich das Drama der Pest in Mehlsack, die etwa zwei Drittel der Einwohnerschaft des Städtchens dahingerafft hatte. Verzweiflung und Gottvertrauen drückt dieses ungewöhnliche Dokument aus jenen Pestjahren in Preußen zu Anfang des 18. Jahrhunderts aus. Das Ermland als Fürstbistum gehörte von 1466 bis zur Ersten Teilung Polen-Litauens 1772 zur Krone Polens und war, anders als die übrigen Regionen Alt-Preußens, katholisch geblieben, was die Motivwahl der Tafel verdeutlicht.

In ganz Preußen wütete von 1709 bis 1711 die „Große Pest“, eine der folgenreichsten und tödlichsten Epidemien in der Region, der gerade im nordöstlichen Preußen weit über die Hälfte der Einwohner erlagen, teilweise sogar bis zu 80 Prozent, wo die ländliche Bevölkerung von wetterbedingten Missernten in den Jahren zuvor schon geschwächt war. Viele Höfe und ganze Dörfer verödeten vollständig. Die preußischen Könige Friedrich I. und sein Sohn, Friedrich-Wilhelm I., starteten Besiedlungsprogramme, von den die Geschichte der „Salzburger Exulanten“ sicher am bekanntesten ist.



Fotos: Vorder- und Rückseite der silbernen Votivtafel © Ostpreußisches Landesmuseum