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Objekt der Woche #18 – Carl-Wilhelm Hübner (1814-1879), Die Auswanderer, 1862

Carl-Wilhelm Hübner (1814-1879), Die Auswanderer, 1862

Eine ärmliche, sichtlich besorgte Bauernfamilie zahlt zwei wenig vertrauenserweckenden Matrosen Geld für eine Überfahrt; anhand der im Hintergrund erkennbaren Karte soll es offensichtlich nach Amerika gehen, zumal auf der Transportkiste „Neu York“ steht.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wanderten viele Ostpreußen aus: Gerade im 19. Jahrhundert ging die Reise vor allem nach Amerika in das „verheißene Land“ – ohne König, ohne Militärdienst und mit nahezu freier Religionswahl, die auch Mennoniten, Baptisten oder sonstige kleinere Religionsgemeinschaften Freiräume bot, die im alten Europa und auch im eher toleranten Preußen vielfach verweigert wurden.
Später zog das Ruhrgebiet Auswanderungswillige an, wo das Los der Industriearbeiter zwar hart und mühsam war, aber doch leichter Arbeit zu finden war, die zudem deutlich besser bezahlt war als auf den ostpreußischen Gütern. Gelsenkirchen etwa entwickelt sich zu einem Zentrum polnisch sprechender, evangelischer Masuren.

Carl-Wilhelm Hübner (1814-1879), Die Auswanderer, 1862
Carl-Wilhelm Hübner (1814-1879), Die Auswanderer, 1862

Diese Auswanderungswelle hatte mehrere Ursachen. Neben einem hohen Geburtenüberschuss war ein Auslöser die preußischen Agrarreformen, die 1807 mit dem berühmten, in Memel erlassenen Oktoberedikt begannen. Sie befreiten die Bauern und Gutsbewohner vom mittelalterlichen Feudalwesen mit seinen persönlichen Abhängigkeiten und Dienstpflichten aus der verhassten Leibeigenschaft. Man sprach daher auch von Bauernbefreiung, aber die Wirkungen waren zwiespältig. Endlich war freie Orts- und Berufswahl erlaubt, und auch das Heiraten nunmehr ohne Erlaubnis möglich, was vermehrt Ehen in den ländlichen Unterschichten nach sich zog, für deren oft reiche Kinderschar eine Kleinsthofstelle nicht auskömmlich war.
Zudem musste für die Ablösung der alten Pflichten wie Fron-, Gespann- und Gesindedienste der Gutsherr entschädigt werden, was bei den Kleinbauern mangels Barvermögen meist mit Land erfolgte. Viele Hofstellen schrumpften dabei so stark, dass sie verkauft werden mussten – aus Bauern wurden Tagelöhner. Auch entfielen nun die Schutzpflichten des Gutsherrn für seine Bauern, etwa bei Missernten, Seuchen, Blitzschlag oder Krankheit.
Mit den Reformen wurde der Bauer ein selbständiger Unternehmer auf eigenes Risiko, was vom liberalen ost- und westpreußischen Oberpräsidenten Theodor von Schön durchaus gewollt war. Fallende Getreidepreise führten dann aber rasch zum Zwangsverkauf des Hofes. Die Armut der Unterschichten wurde verschärft durch die Mechanisierung, denn sie verdrängte ländliches Nebengewerbe wie die Leinenweberei, die ihren Beitrag zum Gesamteinkommen kleinbäuerlicher Schichten beitrug und reduzierte den ganzjährigen Personalbedarf der Güter, was zur saisonalen Wanderarbeit führte.
Die Arbeitslosigkeit und Armut waren hoch – Auswanderung schien für viele die einzige Perspektive. Der Verlust der ländlichen Bevölkerung blieb über Jahrzehnte hoch, Ostpreußen ein im Vergleich zum übrigen Deutschland äußerst dünn besiedeltes Land.

Der in Königsberg geborene und dort noch ausgebildete Hübner war seinerzeit ein anerkannter Genremaler. 1838 ging Hübner an die Düsseldorfer Akademie und wurde dort Gründer des „Vereins Düsseldorfer Künstler“. Ein vielbeachtetes Gemälde stellte auch die Not der schlesischen Weber dar. Hübner war bekannt für seinen realistischen, wenig idealisierenden Stil.