Buchvorstellungen können überraschen und Emotionen wecken. Der gestrige Abend im Ostpreußischen Landesmuseum spiegelte genau dies wieder. Gegen 19 Uhr füllte sich das Foyer mit vielen Besuchern, die gekommen waren, um mit dem Autor Hermann Pölking selbst, den so genannten Mythos Ostpreußen in seinem neuesten Buch „Ostpreussen. Biographie einer Provinz“ zu entdecken. Das Buch erzählt die Vergangenheit des einst östlichsten Teils Deutschlands unter Einbeziehung der aktuellen historischen Forschung.
Nicht Hermann Pölking eröffnete die Lesung, sondern Peter Kämpfe, Theater- und Filmschauspieler und erfolgreicher Fernsehdokumentationssprecher. Mit seiner ausdrucksstarken Stimme verlieh er den geschriebenen Worten eine tiefgehende Lebendigkeit, die alle Zuhörer begeisterte. Doch auch wer sich dazu entscheiden wird, selbst zu lesen, wird keinen trockenen 900-Seiten-Wälzer vorfinden. Pölkings Buch lebt von Zitaten, persönlichen Eindrücken und Erlebnissen von Menschen, die in Ostpreußen lebten oder diese Provinz nur besuchten.
Durch die Lesung bekam der Zuhörer bereits einen Eindruck von den unzähligen Augenzeugenberichten und Erinnerungen, die Pölking mit historischen Fakten unterlegte. Zwischen den Lesungen berichtete der Autor selbst von seiner Arbeit an dem Buch und seiner Beziehung zu Ostpreußen. Dies überraschte. Pölking als gebürtiger Bremer hat selbst keine ostpreußischen Wurzeln. Sein ehemaliger Geschichtslehrer steckte ihn wohl mit seiner Begeisterung an und so wuchs über die Jahre die Beschäftigung mit deutschen und deutschsprachigen Ländern und Regionen.
Letztlich sollte ein Buch entstehen, was nicht nur die politischen und sozialwirtschaftlichen Fakten beleuchtet, sondern auch von der Zeit des Krieges, der Landschaft und von den Bewohnern selbst erzählt. So erzählt das Buch auch, wie bedeutende Persönlichkeiten, wie beispielsweise Thomas Mann, zu Ostpreußen standen: “Der Ostpreuße ist so anders, so einmalig in seiner Art. Vielleicht, dass unbewusst in diesen Herzen und Hirnen ein fremder großer Mythos lebt.”
Lebendig und kurzweilig wurde dieser Abend aber auch durch die kurzen Filmvorführungen, die jeweils in ein neues Thema einführten. Pölking ist leidenschaftlicher Dokumentarfilmer und Sammler. Mit vier kurzen Filmausschnitten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigte er den Zuschauern Ausschnitte aus dem Leben Ostpreußens, die man bisher nicht kannte. So machte Pölking auch auf ein neues Projekt aufmerksam.
Geplant ist ein fünfstündiger Dokumentarfilm mit allen Filmaufnahmen aus der Region, die jemals gemacht worden sind. „Mit allen“ – diesen Superlativ nimmt man Pölking ab. Mit Leidenschaft berichtete er in der anschließenden Diskussion von seinen großen Plänen. Er möchte vor allem ungewöhnliche Filme finden und so führt ihn seine Suche durch die Archive Deutschlands. Und bereits jetzt kann man davon profitieren.
Auf die Frage, ob auch aktuelles oder Nachkriegsmaterial gesucht wird, antwortete Pölking mit einem entschiedenen „nein“. Für ihn sei Ostpreußen kein geographischer Begriff und damit seit 1948 nicht mehr existent. Vielleicht kann gerade dadurch der Mythos weiterleben und Ostpreußen faszinieren. Der gestrige Abend hat auf jeden Fall neugierig gemacht. In Ostpreußen wurde Weltgeschichte geschrieben.