Von Joachim Mähnert
Auch wenn Deutschland heute von einer unprätentiös auftretenden Kanzlerin regiert und darob international oft beneidet wird, kannte man früher auch hierzulande Monarchen in der Rolle von „Celebrities“. Bevor also mit leichtem Spott auf das britische Königshaus und die dort zu beobachtenden, medial vielfach ausgeschlachteten Seifenopern geblickt wird, lohnt ein Blick in die eigene Geschichte. Was den Briten ihre Lady Di ist, war den Deutschen lange Zeit ihre Königin Luise von Preußen: allseits verehrt, von Legenden umrankt, jung verstorben. Luise starb 1810 im Alter von nur 34 Jahren. Das „edelste, vollendetste menschliche Wesen, was vielleicht je die Erde trug. Die vollkommensten Weiber jedes Zeitalter hätten ihr weichen müssen!“ schrieb damals einer, der es wissen sollte, ihr Bruder Georg.
Die junge Luise, „Junker Husch“, hatte rasch den Berliner Hof verzaubert. Schön, anmutig, modisch stilbildend, anders als Diana glücklich verheiratet, bürgernah, galt sie als mildtätig und gute Mutter ihrer zehn Kinder, kurz, als Herrscherideal, als das Vorbild jeder Frau in Preußen und später im ganzen Deutschen Reich. Da war sie längst verklärt zu einer Märtyrerin, die sich für Volk und Vaterland im Kampf gegen Napoleon geopfert hatte.
Denn Luise galt als Kriegstreiberin im aufziehenden Konflikt gegen Frankreich. Nach der katastrophalen Niederlage der Preußen bei Jena und Auerstedt 1806 floh Luise mit ihren Kindern unter dramatischen Umständen bei unwirtlichem Winterwetter nach Ostpreußen. Dort schlug Napoleon im Sommer 1807 endgültig die verbündeten Russen und Preußen. Die anschließenden Verhandlungen über die Zukunft Europas führte der Kaiser der Franzosen mit dem russischen Zaren; der preußische König Friedrich- Wilhelm III., Luises Gemahl, war mehr oder weniger nur Zuschauer. In dieser Not sollte auf Bitten der preußischen Berater die Königin höchstselbst Napoleon zu milden Friedensbedingungen überreden. Für Luise war es ein Opfergang: „Und dann die Aussicht, das Ungeheuer zu sehen, nein, das ist zuviel. Ihn zu sehen, den Quell des Bösen! die Geißel der Erde! alles Gemeine und Niederträchtige in einer Person vereinigt, und sich vor ihr noch verstellen und heiter und liebenswürdig erscheinen zu müssen!!! Wird der Himmel denn nie aufhören, uns zu strafen?“ notiert sie vor dieser Begegnung im ostpreußischen Tilsit 1807. „Sire, ich habe sie gesehen, seien Sie auf Ihrer Hut – ich glaube nicht, dass auf der Erde ein schöneres Weib existiert“, soll wiederum der französische Diplomat Talleyrand seinen Kaiser gewarnt haben.
Das Treffen verlief ergebnislos. Preußen verlor fast die Hälfte seiner Besitzungen und musste hohe Kontributionen leisten. Luise musste das harte Klima Ostpreußens noch zwei weitere Jahre bis zu ihrer Rückkehr nach Berlin erdulden; wenige Monate später starb sie. Die 1813 von Ostpreußen ausgehendenden, letztlich erfolgreichen „Befreiungskriege“ wurden bereits in ihrem Namen geführt. „Jetzt ist Luise gerächt“, soll der preußische Generalfeldmarschall Blücher beim Einzug in Paris verlautet haben. Als 1870 der preußische König Wilhelm die Kriegserklärung aus Paris exakt am 60. Todestag seiner Mutter erhielt, wurde auch der zur Reichsgründung führende Deutsch-Französische Krieg 1870/71 im Namen Luisens geführt und der ihr gewidmete Orden, das Eiserne Kreuz, neu aufgelegt.
Interessant ist, wie diese Begegnung künstlerisch verarbeitet wurde. Im Gemälde von Rudolf Eichstaedt (1857-1924) aus dem Jahr 1895 sehen wir eine in unschuldiges Weiß gekleidete Luise, mit tiefem Dekolleté durchaus ihre weiblichen Reize einsetzend, einem dominanten Napoleon mit Reitgerte gegenüberstehend; durch das Fenster erkennen wir Truppen – Preußen ist ein besetztes Land. Die Machtverhältnisse sind klar: Luise fleht um einen milden Frieden.
Dem besonders von Kaiser Wilhelm II. geschätzten Bildhauer Gustav Eberlein (1847-1926) wiederum verdanken wir einen lebensgroßen Denkmalentwurf aus dem Jahr 1901, der dieselbe Szene wiedergeben will. Hier aber überragt Luise Napoleon körperlich und moralisch, sie zeigt dem siegreichen Kaiser die kalte Schulter und lässt ihn, zur Germania überhöht, einfach abblitzen. Die späteren Siege von Waterloo 1815 und Sedan 1870 haben das reale Machtverhältnis in den Köpfen dieser Zeit offenbar völlig verschoben. Diese angebliche Überlegenheit Preußens über seinen „Erzfeind“ Frankreich wirkt aus heutiger Sicht grotesk – damals traf sie einen Nerv im nationalen Empfinden Deutschlands. 13 Jahre später werden Millionen junger Deutscher im Gefühl nationaler Größe mit Jubel und großer Siegesgewissheit in den Ersten Weltkrieg ziehen.
Denkmäler werden seit einiger Zeit kritisch hinterfragt und zuweilen gestürzt. Besser scheint die historische Kontextualisierung. Sie vermag einen nicht selten irreführenden, verzerrten Zeitgeist zu offenbaren. Um das durchaus mögliche Gift solcher Bildsprache zu entschärfen, hilft sicher nichts besser als solide historische Kenntnis – etwa durch einen Museumsbesuch.