Von Dr. Christoph Hinkelmann, Kurator für die naturkundlichen Bereiche am Ostpreußischen Landesmuseum
Die kleinsten Ausstellungsstücke des Ostpreußischen Landesmuseums werden im größten, frei im Raum stehenden Stück der gesamten Ausstellung gezeigt, der „Bernsteinwand“. Auf kleine Dinge muss man nun mal besonders aufmerksam machen.
Bernstein, das fossile Harz prähistorischer Nadelbäume, tritt in den meisten Fällen in kleinen und sehr kleinen Stücken auf. Im Bernstein finden sich recht oft Einschlüsse, so genannte „Inklusen“, für die Ewigkeit konservierte kleine Tiere oder Pflanzenteile. Mindestens eine Million Jahre müssen vergangen sein, bevor die chemischen Prozesse im Harz beendet sind und man überhaupt von Bernstein spricht. Und unsere Ausstellungsstücke sind alle in einem frühen Abschnitt der Erdneuzeit, im Eozän vor etwa 35 bis 55 Millionen Jahren, entstanden.
In einem Zeitraum nach dem Ende der Dinosaurier und lange bevor der erste Mensch erschien, existierten in weiten Teilen des nördlichen Europa subtropische Nadelwälder. Bei Verletzungen ihrer Rinde trat aus den Bäumen Harz aus, eine gelbe, wohlriechende und vor allem klebrige Flüssigkeit. Insekten „flogen“ geradezu darauf und waren im Nu gefangen. Folgte dann ein weiterer kleiner Schwall, wurden sie umschlossen und blieben für immer in der zähen und gut konservierenden Masse gefangen. In einer kleinen Vitrine innerhalb der Wand zeigen wir an heutigen Rindenstücken, wie dieser erste Schritt der Bernsteinentstehung zu verstehen ist.
Zahlreiche kleine Bernsteinstücke sind in weiteren Miniaturvitrinen, über eine ganze Wand verteilt, zu entdecken. Sie sind besonders beleuchtet und können mit einer Lupe sehr viel besser ihre faszinierenden Einschlüsse offenbaren. Kleine Lebewesen, vor allem Insekten, sind hier mit allen Einzelheiten ihrer harten Oberflächenstrukturen zu entdecken. Besonders häufig haben sich Fliegen, Pflanzenmücken und Käfer verfangen. Meist muss man erst die raue Bernsteinoberfläche ein wenig glätten, schleifen, um einen Einblick in das Stück zu erhalten. Hat man Glück, dann enthält das Stück nur wenige Luftbläschen und erscheint klar. Dann kann man schnell erkennen, ob eine „Inkluse“ enthalten ist. Bernsteinsammler schleifen ihre Funde gern so zu, dass sie mit einem Mikroskop optimal an den Einschluss herankommen. Dadurch werden die Ausstellungsstücke noch einmal kleiner.
Übrigens sind alle Miniaturvitrinen für die Inklusen-Stücke in eine Fläche eingebracht, die einen vielfach vergrößerten Einblick in einen anderen Bernstein zeigt: neben hunderten mikroskopisch kleiner Luftbläschen ist eine 95 cm große Spinne zu sehen, die im Original nur etwa 0,7 mm groß ist!
Bernstein, das „Gold der Ostsee“, wird besonders häufig im früheren Ostpreußen und an der Ostseeküste gefunden. Ein absoluter Schwerpunkt seines Vorkommens liegt im früheren Ostpreußen, bei Palmnicken/Jantarny an der Samlandküste nördlich von Königsberg/Kaliningrad. Dort werden im Tagebau jährlich etwa 300 Tonnen Bernstein gefördert und in Spitzenjahren vor 1990 waren es sogar um die 800 Tonnen pro Jahr. Doch kommt er auch an der Nordseeküste und sogar im Binnenland vor. Man findet ihn z.B. in Kiesgruben oder bei Ausbaggerungsarbeiten.
Die meisten dieser weit verstreuten Vorkommen gehen auf die Gletscher der Eiszeit zurück, die in den letzten 2,5 Millionen Jahren dreimal auch unsere Lüneburger Region bedeckten. Ihre Schmelzwässer verteilten den Bernstein dann weit über Land. Schon seit Tausenden Jahren fasziniert Bernstein die Menschen. In Ostpreußen war er ein wichtiges Handelsgut; dort wurde er auch meisterhaft verarbeitet, etwa zu dem berühmten „Bernsteinzimmer“. Im Ostpreußischen Landesmuseums sind viele herausragende Stücke zu sehen, und Kinder können, sofern die Pandemie dies wieder zulässt, selber auf Entdeckungsreise gehen – beim „normalen“ Besuch oder mit spannender Bastelei bei einem Kindergeburtstag.