von Bettina Buchner-Naujocks
Mein Name ist Bettina Buchner-Naujoks, ich bin 58 Jahre alt und arbeite ehrenamtlich für etwa 3 Monate (26.11.24-13.2.25) hier im Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg mit, und zwar komplett freiwillig und aus Interesse. Normalerweise arbeite ich an einem rheinland-pfälzischen Gymnasium als Lehrerin (Oberstudienrätin für Russisch, Latein, Deutsch und Ethik), aber momentan bin ich im Sabbatjahr. In diesen freien Monaten reise ich viel, bin viel in Italien, treffe Freunde und verbessere mein Italienisch. Aber ich will das Sabbatjahr auch nutzen, um etwas Nützliches, Sinnstiftendes zu tun.
Warum das Ostpreußische Landesmuseum?
Da mein Vater, 1930 geboren, aus Ostpreußen kam und der Tod seiner Eltern und Schwestern bei der Flucht 1945 Spuren nicht nur in seinem, sondern im Leben unserer ganzen Familie hinterlassen hat, beschäftigt mich dieser Abschnitt der Geschichte schon lange. Ich habe vieles darüber gelesen, bin 2010 in die Oblast Kaliningrad, das ehemalige Königsberger Gebiet, gereist und habe 2011 eine Reise dorthin für meine Eltern und die ganze Familie organisiert, bei der unser Vater vieles von früher erzählte, obwohl von seinem Heimatdorf bei Pollessk (ehemaliges Labiau) nicht mehr viel erhalten war.
Im Ostpreußischen Landesmuseum kann ich nun vieles hinzulernen, was für mich während meines Berufsalltags 500 km südlich von hier nicht möglich wäre. Ich habe anfangs beim allgemeinen Museumsdienst unterstützt, war oft bei Treffen des Kinderclubs, bei Kindergeburtstagen und der Reihe „Museum erleben“ dabei. Dabei habe ich interessante Menschen kennengelernt, auch Zeitzeugen, die selber als Kind noch in Ostpreußen gelebt haben, und unterhaltsame Vorträge gehört. Indem ich als Russischlehrerin einen Russland-Austausch organisiert hatte und oft mit meinen Schülern und Schülerinnen in Russland war, konnten die Jugendlichen vor Ort in Wolgograd (Ex-Stalingrad) lernen, was ein Krieg für die Beteiligten bedeutet: Brutalität, Zerstörung, Hunger. Nun ist der Austausch seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht mehr möglich, aber es ist umso wichtiger, jungen Menschen unsere Geschichte anschaulich näherzubringen. Damit sie daraus lernen.
Vielseitige Tätigkeiten
Um dazu beizutragen, habe ich im Archiv Herrn Dittmann unterstützt. Meine erste Aufgabe bestand darin, aus zahlreichen Fluchtberichten die entsprechenden Passagen zur Flucht über das Haff im Winter 1945 zu markieren, einige Infos zu extrahieren und diese Berichte sinnvoll zu ordnen. Die Zuarbeit diente als Vorbereitung eines Themenabends 80 Jahre nach der Flucht über das zugefrorene Haff, bei der eine Schauspielerin die entsprechenden Tagebuchausschnitte vortrug und der Historiker Dr. Eckert über die historischen Hintergründe referierte.
Als dies erledigt war, bekam ich einen dicken Briefumschlag mit dem Briefnachlass einer Familie aus Ostpreußen, die durch die Flucht versprengt wurde. Die Mutter und eine erwachsene Tochter lebten dann über zwei Jahre in einem Lager in Dänemark, die andere erwachsene Tochter war bereits zuvor in den Westen gekommen, und der Vater war mit Bekannten in die Sowjetische Besatzungszone geflüchtet, bis sie sich nach zwei Jahren Trennung und anfangs ohne voneinander zu wissen wiederfanden. Diese Briefe waren sehr anschaulich geschrieben. Ich konnte mitverfolgen, wie der Lageralltag aussah und wie die Menschen sich in den sicherlich meist schwersten Monaten ihres Lebens gefühlt haben, wie sie Schicksalsschläge wie den Tod ihres Kindes verkraftet haben. Der starke Glaube, die Gebete und der soziale Zusammenhalt haben ihnen in diesem Fall immer wieder Hoffnung gegeben. Sich damit zu beschäftigen, kann ich jedem raten: Es macht dankbar für unseren (bereits 80 Jahre dauernden) Frieden, unseren Wohlstand und unsere insgesamt funktionierende Gesundheitsversorgung. Das zeigt, was die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind. Diese Briefe habe ich erstmal chronologisch und nach Autor und Adressat geordnet, transkribiert mithilfe einer Sütterlin-Tabelle und tabellarisch erfasst.
Anschließend habe ich eine neue Aufgabe beim Kurator Herrn Rüttinger bekommen: Inventarisieren. Eine Schenkung von kleineren Gegenständen aus Bernstein oder damit geschmückt wartete in einer Schublade darauf, erfasst zu werden. Dazu habe ich jeden der Gegenstände, wie Schmuck, Brieföffner oder Knöpfe, genau ausgemessen, erfasst, beschrieben und in eine Datenbank eingetragen, später auch fotografiert. Das erfordert Genauigkeit und ich habe einiges in Bezug auf Kunstgeschichte gelernt, über Manufakturen und Schmuckherstellung in Ostpreußen.
Ich schätze an dem Museum vor allem die Vielseitigkeit, denn es ist für jeden etwas dabei: Literatur mit einer Hörstation, Kunst, Bernstein, Geschichte, Natur und Tierwelt, eine Abteilung zu Trakehnen, zu Landwirtschaft, Tourismus sowie das Thema Flucht und Vertreibung mit erschütternden Zeitzeugenberichten. Besonders gespannt bin ich jetzt auf das neue Kant-Museum. Kants Philosophie kann Orientierung im Alltag bieten, also praktische Entscheidungs- und Lebenshilfe.