Manchmal dauert es etwas länger. Im September 2002 eröffnete das Ostpreußische Landesmuseum eine Ausstellung zu den Besonderheiten der ostpreußischen Luftfahrtgeschichte unter dem Titel „Mit Windkraft und Propeller“. Die Präsentation warf einen Blick weit zurück in die allerersten Anfänge, mit denen der Mensch seinen uralten Traum, sich den Vögeln gleich in die Luft erheben zu können, wahrzumachen begann. Auch in Ostpreußen fuhren die ersten Ballons und die ersten Zeppeline an hellen Sommerwolken entlang, im ostpreußischen Rössel wurde eine der ersten deutschen Flugzeugfabriken gegründet (die allerdings wegen Schwierigkeiten mit dem Prototyp bald wieder geschlossen werden musste) und die Hauptstadt Königsberg erhielt 1921 den ersten deutschen Zivilflughafen.
Die Ausstellung wurde deutschlandweit wahrgenommen und wegen des großen Interesses im Frühjahr 2003 zu einer Wanderausstellung umgearbeitet, die in den Folgejahren an zahlreichen Orten zu sehen war. 2008 erstmals auch in Polen, im kleinen Volkskulturmuseum in Węgorzewo, dem ehemaligen Angerburg in Masuren.
Doch erst knapp 10 Jahre später gelangt die Ausstellung nun zum ersten Mal in den heute russischen Teil Ostpreußens, in dessen ehemalige Hauptstadt Königsberg, nach Kaliningrad. Mit Unterstützung des deutschen Generalkonsulats und privaten Geldgebern konnte die Präsentation im Deutsch-Russischen Haus, das sich in ganz besonderer Weise um ein immer besseres Verhältnis der beiden größten Völker Europas bemüht, realisiert werden. Denn hier, im nördlichen Ostpreußen, waren die beiden großen Säulen der ostpreußischen Luftfahrtgeschichte zu Hause. Beide wirkten sich nachhaltig auf die gesamte deutsche Fliegerei aus und beide gehen unmittelbar auf die Folgen des Versailler Vertrags von 1919 zurück, der die motorisierte Fliegerei in Deutschland untersagte.
Deshalb besann man sich auf die Versuche des Flugpioniers Otto Lilienthal und entwickelte in immer neuen Konstruktionen immer besser funktionierende Segelflugzeuge. Zwei Zentren des Segelflugs bestimmten von Beginn an die Richtung: die bis heute für den Segelflug bedeutende Wasserkuppe auf der Rhön, wo in thermischen Aufwinden gesegelt wird – und die Kurische Nehrung. Hier wurde seeseitig an den Hängen der großen Wanderdünen gesegelt, an denen fast immer ein ausreichender Wind vorherrschte. In Rossitten, dem Ort der ersten Vogelwarte der Welt, entdeckten die Flugpioniere 1922 hervorragende Bedingungen für den Segelflug und organisierten bereits in den 1920er Jahren die „Deutschen Küsten-Segelflug-Wettbewerbe“. Hier entstand eine der bedeutendsten Segelflugschulen Europas und zahlreiche Rekorde wurden hier erflogen.
Die zweite Besonderheit der ostpreußischen Luftfahrt war in Königsberg selbst zuhause. Man umging das Verbot des Motorflugs, indem ein binationales Unternehmen – heute nennt man so etwas „joint venture“ – mit der damals noch jungen und europaweit ähnlich wie die junge Weimarer Republik gemiedenen Sowjetunion gegründet wurde. Deutsche und Russen als gleichberechtigte Partner, den Bestimmungen des Versailler Vertrags gemäß mit sowjetrussischer Mehrheit gründete man 1922 das Unternehmen „Deruluft“ – die Deutsch-Russische Luftverkehrs-Gesellschaft. Ihr sowjetischer Zielflughafen war Moskau, der deutsche war Königsberg, denn Polen verweigerte die Überflugrechte und Fliegen über der offenen See war für die Flugzeuge der 1920er Jahre eine riskante Herausforderung. Die Deruluft war weltweit die erste Fluggesellschaft mit festem Flugplan und verkehrte zunächst nur im Sommerhalbjahr, später auch im Winter. Eine Reihe großer Städte wie Leningrad, Kaunas, Riga und Reval lagen auf der Route, schließlich konnte auch die deutsche Hauptstadt angeflogen werden. Die Spannungen zwischen den Diktatoren in Berlin und Moskau allerdings setzten dem Völker verbindendenden Unternehmen 1937 ein Ende.
Die Ausstellung ermöglicht in Zeitdokumenten (Fotos, Flugpläne, Bescheinigungen, Luftpostkarten u.v.m.) einen spannenden Einblick in die Anfangszeit der modernen Luftfahrt. Mit dem alten Mercedes-Sprinter des Ostpreußischen Landesmuseums geht sie nun auf die Reise, über hunderte von Kilometern in die Stadt am Pregel (s. Foto vom Einpacken). Dort in Kaliningrad wird sie am 26. April eröffnet und bis in den Juli 2012 im Deutsch-Russischen Haus zu sehen sein. Sie ist ein Beitrag des Ostpreußischen Landesmuseums zum Deutsch-Russischen- Jahr 2012, in dem die deutsch-russischen Kulturkontakte im Mittelpunkt stehen.
Für den Segelflugsport, der gerade sein offizielles 100jähriges Jubiläum feierte (2011), wird die Ausstellung in Kaliningrad zu einem weiteren besonderen Zeitpunkt gezeigt: am 11. August 2012 werden zum ersten Mal nach 67 Jahren (Januar 1945) wieder Segelflugzeuge über der Kurischen Nehrung fliegen. Mit historischem Gummiseilstart werden zwei Ausbildungsflugzeuge der 1930er Jahre, ein „SG 38“ und ein „Grunau Baby“ starten. So hat die fast 10jährige „Verzögerung“ durchaus ihr Gutes, und eine kaum vorher zu ahnende Aktualität.
Am 23. April fand der Transport nach Kaliningrad statt. Mit dem Transporter des Ostpreußischen Landesmuseums von Lüneburg nach Berlin, dort umgeladen in den VW-Bus von Jürgen Leiste, der zu einer neuen seiner unzähligen Hilfsfahrten ins Gebiet für „Anthropos e.V. – Für die Kinder dieser Welt“ aufbrach, kamen wir nach 19 Stunden an. Allerdings dauerten die Zollabfertigungen an der polnisch-russischen Grenze am neuen Kontrollpunkt Mamonovo II 6 Stunden.
Alle 56 Tafeln (Aluminiumrahmen mit Glas) hatten den Transport gut überstanden und so konnte gleich am 24. April morgens mit dem Aufbau begonnen werden. Die Eröffnung selbst fand am 26. April 2012 um 19.00 Uhr im Deutsch-Russischen Haus statt. Etwa 60 Personen waren anwesend, unter ihnen Alexander Albach und Olga Karpenko als Vertreter des deutschen Generalkonsulats, Ingenieur Valerij Tsvetkov (der einen Großteil der Informationen zur Deruluft beigesteuert hatte), Andrej Martynyuk vom Museum „Friedländer Tor“ und als Überraschungsgäste Justyna Żolnierowicz-Jewuła und Krystyna Jarosz, Direktorin und Kollegin vom Volkskulturmuseum in Węgorzewo/Angerburg in Masuren. Redebeiträge lieferten der Direktor des Deutsch-Russischen Hauses, Andrej Portnjagin und Dr. Christoph Hinkelmann, Kurator der Ausstellung vom Ostpreußischen Landesmuseum. Beide hoben hervor, dass hier ein guter Anfang einer hoffentlich erfolgreichen und fruchtbaren Zusammenarbeit ihrer Institutionen in Lüneburg und Königsberg/Kaliningrad gemacht sei.
Ein ganz herzlicher Dank gilt allen, die die Realisierung dieses Projekts,insbesondere durch einen finanziellen Beitrag, ermöglicht haben: Julia Barebysheva und Elena Schaplyko, Kaliningrad (für die Übersetzung ins Russische), Wilhelm Baucke, Alfred Berg, Herbert Böller, Horst Eckert, Uta Fischer-Remien und Thomas Fischer, Dr. Steffen Görlich, Dr. Jan Heller, Jürgen Leiste, Friederike von Natzmer, Erika Reinke und Andreas Scheerer. Weiterhin danken wir allen beteiligten Mitarbeitern des Deutsch-Russischen Hauses, des deutschen Generalkonsulats sowie des Ostpreußischen Landesmuseums für vielfache Unterstützung.