Von Dr. Jörn Barfod über die Ermlandfahrt vom 19. bis 26. Juni 2023
Die 8-tägige Reise des Ostpreußischen Landesmuseum, organisiert vom dort angesiedelten Kulturreferat, sollte das Ermland als eigene historische und kulturelle Landschaft vorstellen. Dabei standen Geschichte und Baukunst des Mittelalters im Vordergrund. Aber auch das 20. Jh. mit der Katastrophe des 2. Weltkrieges und die Gegenwart sollten nicht zu kurz kommen.
Erste Höhepunkte:
Schon die Anfahrt wurde dazu genutzt erste interessante Asprekte über die Geschichte weiterzugeben. Der erste Höhepunkt war dann die Besichtigung der Marienburg (Malbork) als Hauptwerk der Baukunst des Deutschen Ordens. Dem schlossen sich zwei Ziele im Ermland an: Wormditt (Orneta) mit der reichen Bauzier der Pfarrkirche und der Anlage der mittelalterlichen Stadt, darunter das Rathaus auf der Mitte des zentralen Marktplatzes und die umliegenden Hausreihen mit ihren Arkadengängen (Rekonstruktion im Wiederaufbau nach 1945). Im Kontrast dazu steht die wenig verzierte, große Stiftskirche von Guttstadt (Dobre Miasto), wo die drei Flügel der Kollegiatsgebäude noch weitgehend vorhanden sind. Von der Stadt erahnt man nach den Kriegszerstörungen nur noch die alte rechteckige Anlage, von der Stadtbefestigung blieb ein Turm.
Ermland:
Allenstein (Olsztyn) bot einen zweiten Schwerpunkt mit verschiedenen Kapiteln. Die Altstadt wurde nach fast völliger Zerstörung auf den alten Grundrissen wieder aufgebaut. Die Pfarrkirche, in einfachen Formen, aber großem Baukörper errichtet, ein Stadttor und die Burg des ermländischen Domkapitels blieben erhalten. In der Burg zeigt das Museum von Ermland und Masuren eine v.a. Nikolaus Kopernikus gewidmete Ausstellung, der hier einst wirkte. Dazu sind Möbel und Gemälde aus alten Gutshäusern und Schlössern der Region zu sehen.
Im Erstlingsbau des berühmten, in Allenstein geborenen Architekten, Erich Mendelsohn, der jüdischen Friedhofskapelle von 1913, gab es reichlich Informationen zur Kulturvereinigung Borussia (einer NGO) mit ihrer wichtigen grenzüberschreitenden Arbeit sowie zur Situation der deutschen Minderheit in Polen und in der Wojwodschaft Ermland-Masuren.
Die Heilige Linde:
Die Fahrt zum wichtigsten Wallfahrtsort der Region, Heilige Linde (Święta Lipka) machte die Bedeutung und barocke Prachtentfaltung des Katholizismus deutlich. In italienisch-osteuropäischer Prägung entstand die Kirche in Jahrzehnten um 1700. Ihr heutiger Stellenwert zeigte sich auch im exzellenten Restaurierungszustand von Kirche und Umgangsarkadenbau.
Rößel (Reszel) beeindruckt als relativ gut erhaltene Gesamtanlage von Altstadt mit Rathaus, Pfarrkirche und bischöflicher Burg, dazu Stadtmauerteile und ein alter Speicher in der einst in allen Handelsstädten West- und Ostpreußens üblichen Form.
Kurzer Abstecher:
Ein Abstecher nach Masuren führte nach Steinort (Sztynort) in eine ganz andere Thematik und Zeit: Bestandssicherung und allmählichen Wiederaufbau des Schlosses leistet hier eine deutsch-polnische Denkmalpflegestiftung. Der letzte Besitzer vor 1945, Heinrich Graf Lehndorff, verbindet diesen Ort mit dem Geschehen des 20. Juli 1944.
Es folgten drei weitere ermländische Städte, die sich unterschiedlicher kaum präsentieren könnten: Heilsberg (Lidzbark Warminski) mit großer Pfarrkirche und dem Residenzschloss des Bischofs, einer mittelalterlichen Burg mit barocker Umgestaltung, die dortigen umfangreichen Restaurierungen sind noch im Gange. Anschließend ging es zu den traurigen Resten der Stadt Mehlsack (Pieniężno), wo nur Ruinenreste der Burg und überbaute Reste des Rathauses vom Mittelalter künden; es blieben die neugotische katholische Kirche und ein Turmrest der evangelischen.
Auch in Braunsberg (Braniewo), der ältesten und bis ins 19. Jh. größten Stadt des Ermlands, hat die letzte Schlacht in Ostpreußen im März 1945 mehr als drei Viertel zerstört. Hier wurde jedoch die große Kirche des 15. Jh. wieder aufgebaut. Die Raumgröße kommt im nur sparsam bestückten Inneren besonders zur Wirkung.
Frauenburg:
Den Abschluss der Ermlandfahrt bildete Frauenburg (Frombork). Die gut restaurierte Domburg samt Dom des 14. Jh. wurde als Bischofskirche in besonders aufwändiger Bauzier und Größe mit langem Chor und später angefügter Westvorhalle errichtet. Westportal und Vorhalle weisen ein überaus reiches Reliefwerk an den Wänden und in den Portalarchivolten sowie an den Gewölbediensten auf. Hier konkurriert der bischöfliche Repräsentationswille mit dem des Ordenshochmeisters in der Marienburg.
Über das Frische Haff nach Danzig:
Die Rückfahrt führte am Frischen Haff vorbei, durch den Ort Cadinen (Kadyny). Dieser wurde um 1900 als Mustergut von Kaiser Wilhelm II. ausgebaut, mit einer einst bemerkenswerten Keramikmanufaktur (1903-45), deren Fabrikgebäude heute in Trümmern liegt. Den Schlussakt der Reise gab Danzig (Gdańsk) mit seiner üppigen bürgerlichen Prachtentfaltung. Die Kirchen und Profanbauten v.a. aus der Zeit zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert lassen im Ostseeraum fast alles andere hinter sich. Das Drama der Geschichte führte noch einmal der Besuch des neuen Museums des Zweiten Weltkriegs vor Augen!