Es ist, als schlösse sich ein Kreis: Vor sechs Jahren, im Frühjahr 2012, fuhren Schüler des Hamburger Hansa Kollegs erstmals in Kooperation mit dem Ostpreußischen Landesmuseum nach Russland – damals nach Kaliningrad, in das alte Königsberg, die ehemalige Haupt- und Residenzstadt in Preußen, das Zentrum des im Zweiten Weltkrieg untergegangenen Ostpreußen. Man kann es als eine frühe Geste der deutsch-russischen Freundschaft sehen, dass der Preußenkönig Friedrich I. dem Gründer der seinerzeit neuen russischen Hauptstadt Sankt Petersburg, Peter dem Großen, ein vollständig mit Ostsee-Bernstein ausgekleidetes Zimmer schenkte, das vielleicht prächtigste Zimmer im ohnehin prachtvollen Palast der Zarin. Dieses Zimmer wurde bekanntermaßen im Zweiten Weltkrieg von den Leningrad belagernden deutschen Truppen demontiert und nach Königsberg geschafft und ging in den blutigen Wirren des Kriegsendes so gründlich verloren wie das Königsberger Schloss selbst. Trotzdem stehen wir heute wieder in diesem Zimmer, wir, also: 18 Schüler und zwei Lehrer des Hansa-Kollegs Hamburg zusammen mit Agata Kern, Kulturreferentin für Ostpreußen und das Baltikum am Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg und Anastasia Marger, unserer charmanten, ortskundigen russischen Reiseführerin. Sie hat uns vier Tage lang auf den Spuren Peters des Großen durch Sankt Petersburg geführt, bis wir schließlich am letzten Tag im Katharinenpalast dort sind, wo von 1941 bis 1944 die deutsche Wehrmacht die Stadt Leningrad verhungern ließ – und wo der Geschichte zum Trotz seit 2003 eine originalgetreue Rekonstruktion dieses einmaligen Zimmers zu sehen ist, nicht zuletzt dank Spendengeldern aus Deutschland.
Vier Tage sind wir deutsch-russischen Spuren gefolgt in Sankt Petersburg. Immer wieder war es Peter der Große selbst, dem man auf der Entdeckungstour durch die Sechs-Millionen-Einwohner-Metropole nicht entgehen kann und der die neue Hauptstadt gegründet hatte als ein Fenster Russlands zum Westen, inspiriert von holländischen und deutschen Stadtanlagen. Und so dauerte es nicht lange, bis sich in Sankt Petersburg eine umfangreiche deutsche Gemeinde ansiedelte, die sich heute wieder ihrer Geschichte bewusst wird. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion und der Diktatur Stalins war von der deutschen Kultur in Leningrad nicht viel übriggeblieben. Zu den eindrucksvollsten Momenten unserer Reise gehörte denn auch der Besuch in den Räumen des Deutsch-Russischen Begegnungszentrums und der Petri-Kirche, dem Gotteshaus der Deutschen evangelisch-lutherischen Gemeinde am Newski-Prospekt, im Herzen der Stadt. In sowjetischen Zeiten umfunktioniert zu einem Schwimmbad, ist die Kirche nun wiedererstanden. Im Kirchenraum hörten wir Orgelmusik von Bach; in den Katakomben des Schwimmbades sahen wir junge Künstler bei der Arbeit; in den Räumen des Begegnungszentrums erklärte uns eine Ausstellung die Rolle der Deutschen in Sankt Petersburg; und beim Gespräch mit Mitarbeitern des Zentrums ließ sich erahnen, wie sehr die aktuelle Politik zu einem Problem wird, selbst wenn man sich bemüht, sich aus der Politik herauszuhalten. Politik – die Menschen in Sankt Petersburg begegneten uns offen, aber dieses Tabu bleibt.
Und dann waren da noch: das Alxander-Newski-Kloster, auf dessen Friedhof sie alle liegen: Dostojewski, Mussorgski, Tschaikowski – die große Namen der russischen Kultur; die Peter-und-Paul-Festung auf der kleinsten der zahllosen Newa-Inseln, der Hasen-Insel; die Gemäldesammlung der Eremitage im grandiosen Winterpalast; Selfies mit Peter dem Großen; Bus- und Schiffsrundfahrten quer durch die Stadt; russischer Borschtsch und georgische Küche; und nicht zuletzt die Spätherbstsonne über der Newa, die die nördlichste Millionenstadt der Welt wegen ihres niedrigen Sonnenstandes zu jeder Tageszeit wie im Morgen- oder Abendlicht glänzen lässt.
Sankt Petersburg ist Hamburgs Partnerstadt. In einer Zeit, in der Russland und Deutschland einander wieder fremd zu werden drohen, haben das Ostpreußische Landesmuseum und die Kulturreferentin für Ostpreußen, Agata Kern, 18 Hamburger Schülerinnen und Schülern die einmalige Chance gegeben, Russlands Metropole aus der Nähe zu sehen, wie es Touristen sonst nie möglich wäre. Spasibo!
Holger Wendebourg (Lehrer am Hansa-Kolleg)