Von Dr. Jörn Barfod
In der Hanse-Abteilung des Ostpreußischen Landesmuseums treffen wir unter den mittelalterlichen Alltagszeugnissen auf ein merkwürdiges kleines Abzeichen, nur ca. 3 cm hoch. Es wurde aus einer Blei-Zinn-Mischung im 15. Jahrhundert gegossen und in großen Mengen verkauft.
Dieses Abzeichen, das in Stade gefunden wurde, stammt von einer Wallfahrt nach Wilsnack an der Elbe (Prignitz). Solche Reisen, meist zu Fuß, unternahmen damals sehr viele Menschen in Europa, zu oft entfernten Orten wie Jerusalem, Rom, Santiago di Compostella in Nordspanien oder nach Aachen, um dort einen heilbringenden Segen von einer am jeweiligen Ort befindlichen Reliquie zu bekommen. Diesen Reliquien wurde eine besondere Wunderkraft zugesprochen, die Hilfe in Not, Heilung von Krankheit oder Vergebung von Sünden und Straferlass für die Seele von Verstorbenen bringen sollte.
Wilsnack war seit 1384 Ort einer solchen wundertätigen Reliquie. Hier bestand sie aus drei geweihten Oblaten vom Abendmahl, sog. Hostien. Von Preußen, aus Skandinavien, von Ungarn, Böhmen und Polen, Frankreich und England sowie von näher gelegenen Orten kamen die Pilger, zu Zeiten sollen es an die 100.000 im Jahr gewesen sein.
Die Legende der drei wundertätigen Hostien in Wilsnack geht auf die Zerstörung des Dorfes 1383 zurück, nach der in der Ruine der Dorfkirche drei geweihte Hostien auf dem Altar gefunden wurden, die Blutstropfen gezeigt haben sollten. Hintergrund dieser Erscheinung ist das kirchliche Dogma von der Umwandlung der gebackenen Oblate in Leib Christi beim Abendmahl, also bei einer Messe. Sichtbarer Ausdruck dieser Lehre waren dann in damals bekannten Legenden Hostien, die nach Verletzungen bluteten.
Das Pilgerzeichen zeigt denn auch drei runde Scheiben, gemeint sind eben die Oblaten, mit sehr reduziert einfach dargestellten Szenen aus der Leidensgeschichte von Jesus, unten die Geißelung, oben links Jesus am Kreuz, oben rechts die Auferstehung Jesu aus dem Grab. Zwei Kreuze über den oberen Oblaten ergänzen die Darstellung. Oben und seitlich sind Ösen angebracht (die linke ist hier abgebrochen), an denen das Pilgerzeichen auf Kleidungsstücke aufgenäht werden konnte.
Diese Pilgerzeichen wurden als Zeichen der Pilgerfahrt getragen, auch als Schutzzeichen. Denn ein Überfall auf Pilger stand unter besonderer Strafandrohung seitens der Kirche und weltlicher Obrigkeit. Ihnen wurde auch ein Teil der Wunderkraft der Reliquien zugeschrieben, denen der Besuch am jeweiligen Wallfahrtsort gegolten hatte.