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Die Hanse – von Lüneburg bis ins Baltikum

Handel verbindet. Heute in Zeiten der Globalisierung genauso wie damals im Mittelalter zur Zeit der Hanse. Zwei unscheinbare Krüge aus dem 15. Jahrhundert zeugen davon: der eine ausgegraben in Lüneburg in der Lüneburger Altstadt, der andere gut 1000 km entfernt in Lüneburgs Partnerstadt Tartu in Estland. Beide Krüge gehören zum damals beliebten Typus „Siegburger Steinzeug“ und stammen aus Siegburg nahe Köln. Von Köln bis Tartu reichte denn auch die Hanse, jener mächtige Handelsverbund, der Nordeuropa im Mittelalter und darüber hinaus so nachhaltig prägte. Man kennt die Hansestädte Lübeck, Hamburg, Bremen und natürlich Lüneburg, aber die Hanse hätte nicht bestehen können ohne die großen Hansestädte des Ostens: Danzig, Königsberg (heute Kaliningrad), Riga, Tallinn (heute Reval).

In der Dauerausstellung des Ostpreußischen Landesmuseums zeigt eine Schiffsinszenierung die Waren der Hanse, sie lassen sich erfühlen oder sogar erriechen. Die baltischen Städte waren wichtige Umschlagplätze im Russland-Handel. Aus den russischen Wäldern bezog man Felle (für Pelze) und Wachs (für Kerzen). Güter, die so wertvoll waren, dass die Händler wochenlange Fahrten dafür auf sich nahmen. Die meisten Lüneburger Kaufleute freilich kamen über Lübeck nicht hinaus, aber das Salz und andere Waren aus dem Westen, wertvolle Tuche oder Waffen, erreichten nach etwa einer Woche das Baltikum. So weit reichen also die Verbindungen zwischen Lüneburg und dem Baltikum zurück!

Zwei schlanke Hansekannen und ein Deckelhumpen, sie zeigen den Reichtum der Hanse © Ostpreußisches Landesmuseum

Was viele aber nicht wissen: Die Hansekaufleute in den baltischen Städten waren Händler deutschsprachig. Die Esten und Letten sind heute stolz auf ihre schmucken Altstädte, aber dieser Stolz wird auch getrübt. Denn jahrhundertelang wurden sie von einer kleinen deutschen Oberschicht beherrscht, die auch den Großteil der Handelsgewinne abschöpfte. Die einheimische Bevölkerung hatte keinen Zugang zu den hansischen Kaufmannsgilden und -kreisen. Bis ins späte 19. Jahrhundert war Deutsch die offizielle Behördensprache in Estland! Kein Wunder, dass die Hanse im Baltikum nicht den uneingeschränkt guten Ruf genießt wie hierzulande.

Ein mittelalterlicher Lüneburger jedenfalls wird sich damals in Riga heimischer gefühlt haben als in Frankfurt oder Nürnberg: die gleichen Gesetze, die gleiche niederdeutsche Sprache, die gleiche Architektur mit Treppengiebel und rotem Backstein. Dabei war die Reise im Mittelalter lang und gefährlich. Auf See drohten Stürme und Seeräuber, berühmt ist die Legende von Klaus Störtebeker. Auf dem Landweg, auf dem die meisten Waren transportiert wurden, waren die Fuhrwerke Monate unterwegs – was man übrigens in einer Medienstation ausprobieren kann. Die Erinnerung an die starken kulturellen Schnittstellen zwischen Norddeutschland und dem Baltikum sind mittlerweile weithin vergessen. Aber heute, da Europa enger zusammenwächst und sich das Baltikum stärker zum Westen hin- und von Russland abwendet, ist es wichtig, sich wieder mit diesem spannenden Teil der deutsch-europäischen Geschichte zu beschäftigen. Dieser Aufgabe widmet sich auch die Deutschbaltische Abteilung im Ostpreußischen Landesmuseum. Die Hanse war gewiss kein Vorläufer der internationalen EU. Aber ihre Geschichte zeigt, was uns verbindet und was uns trennt und kann uns vielleicht lehren, aus der Erinnerung an das geteilte Erbe eine gemeinsamere Zukunft zu gestalten.

Von Dr. Tim Kunze, Kurator der Immanuel Kant Abteilung und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ostpreußischen Landesmuseum

Titelbild: Hanseinszenierung mit zwei Tonkrügen im Vordergrund in der Hanseabteilung des Ostpreußischen Landesmuseums © Ostpreußisches Landesmuseum mit Deutschbaltischer Abteilung