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Lichtblick in dunkler Zeit

Unter den vielen Flüchtlingen, die bei Kriegsende 1945 in die Lüneburger Region kamen, waren Angehörige aller Berufe, auch bedeutende Künstler. Einige blieben, wie die Grafikerin Gertrud Lerbs-Bernecker und ihr Mann, der Maler Kurt Bernecker, beide aus Königsberg; andere zogen nach einiger Zeit weiter, wie etwa der Königsberger Maler Eduard Bischoff. Aber auch in jenen ersten Nachkriegsjahren entstanden natürlich Kunstwerke. Eines davon soll hier vorgestellt werden. Es ist in der Dauerausstellung des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg zu finden.

Eine Frau in langem Rock, Bluse, Jacke und Hut (es scheint kalt zu sein) sitzt auf einem roh zusammengezimmerten Bett in einer Dachkammer. Neben dem Bett steht ein Hocker, darauf Blumen in einer roten Vase, ein Tuch und kleine Äpfel. Dahinter an der Wand hängt eine kleine Zeichnung mit einem Kopf eines jungen Soldaten.

Eduard Bischoff “Gertrud in Holxen” (Eduard Bischoff, Öl/Holz, 1945
© Ostpreußisches Landesmuseum

Die Frau hat Briefe gelesen, die neben ihr auf dem Kopfkissen liegen, und hält noch einen in der Hand. Nachdenklich schaut sie aus dem Bild.

Ungewöhnlicherweise trägt das auf Sperrholz mit Ölfarben gemalte Bild auf dem Rahmen eine Widmungsinschrift in roter Zierschrift: Unserer lieben Tochter Berte zum 8.10.1945 von ihren Eltern Ed. u. G. Bischoff. Kgsbg. – Welche Geschichte steckt dahinter?

Der Maler Eduard Bischoff (1890-1974) gehörte zu den führenden Künstlern in Königsberg seit den 1920er Jahren und war bis 1945 Lehrer an der Königsberger Kunstakademie. Seine Flucht aus Ostpreußen begann im Januar 1945 mit dem Fahrrad. Auf dem Weg in den Westen traf er seine Frau Gertrud in Mecklenburg, die auf einer anderen Route die Flucht begonnen hatte. Zusammen erreichten sie im Mai 1945 den Kreis Uelzen, wo sie in Holxen bei einem Bauern Unterkunft in einer Dachkammer fanden. Ihre Tochter Berte war derweil mit ihrem Mann ins Rheinland gelangt.

Der Altar in Holxen (Eduard Bischoff, Öl, Verbleib unbekannt)

Unter schwierigen Umständen, nicht zuletzt bei der Materialbeschaffung, konnte Bischoff im Herbst 1945 wieder mit dem Malen beginnen. Es entstanden viele Auftragsbilder, oft gegen Naturalien: „Es zählten zu den besonders herausragenden Ereignissen jener Zeit die schwarzgeschlachtete Sau des Bürgermeisters im Tausch gegen ein Altarbild für die Dorfkirche, das Portrait der sehr attraktiven Dorfschönheit und Schreinermeistertochter gegen Bilderrahmen usw.“ erinnerte sich später Bischoffs Schwiegersohn. Seine erste Ausstellung nach dem Krieg hatte Eduard Bischoff 1946 in Lüneburg. Dieses Bild mit seiner Frau verband der Maler mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft seiner Familiengeschichte. Es entstand aus Anlass der Geburt des ersten Enkelkindes am 8.10.1945 und zeigt Gertrud beim Lesen dieser Nachricht. Das neugeborene Leben weist in die Zukunft. Die Gegenwart ist einstweilen eine dürftige Dachkammer. Die Vergangenheit enthielt Trauer und Schmerz des Abschieds: Das kleine Bild an der Wand Zeit den Sohn der Bischoffs, der 1942 als Soldat in Russland fiel. Schließlich erinnert die Ortsangabe „Kgsbg.“  (für Königsberg) in der Rahmeninschrift an die verlorene Heimat. So haben wir mit diesem kleinen Gemälde – das Format spiegelt auch die Materialknappheit jener Tage – ein Zeitdokument. Es zeigt uns den Maler durchaus auf der Höhe seiner Kunst, aber auch in den Nöten der Verluste durch den Krieg, doch nicht ohne einen Hoffnungsschein durch das für die kleine Familie freudige Ereignis jenes Tages.

Von Dr. Jörn Barfod, Kustos am Ostpreußischen Landesmuseum